Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs

Ich gebe zu, ich habe eine Schwäche für Männer. Vierbeinige im Besonderen. Das könnte daran liegen, dass mein erster Rüde, Westhighland-Terrier „Cedarfell of High and Mighty“, schon sehr früh in mein Leben trat. Wir waren beide fünf Monate alt und sich seitdem hat sich die Devise „einmal Rüde, immer Rüde“ durchgesetzt. Von Hündinnen weiß ich deswegen recht wenig, nur, dass sie läufig werden und dabei spezielle Hosen tragen, vor allem, wenn man hellen Teppichboden besitzt. Dass sie nicht so oft pullern müssen, dies aber, laut meiner Freundin, immer auf weichem Untergrund, „sonst passiert da gar nichts und du läufst nachts um halb eins noch ’ne Stunde im Schlafanzug durch die Gegend, bis Madame eine Stelle gefunden hat, die genehm ist.“ Hündinnen können dazu scheinträchtig werden, währenddessen leicht depressiv ihre Stofftiere bemuttern und dich so um deinen Schlaf bringen. Dann weiß ich natürlich, dass es bei einem Kampf unter Hündinnen ziemlich zur Sache gehen kann („auf Leeeben und Tod, das sag ich dir!“), während Rüden gerne mal auf dicke Hose machen und sich ziemlich schnell auf- und wieder abplustern. Wie bei uns Menschen also auch. Rüden erscheinen mir also recht pflegeleicht im Vergleich zu den Damen.

Die einzige Zeit im Jahr, in der es für den gemeinen Rüdenbesitzer brenzlig wird, ist der Frühling. Denn da kommen oben genannten Damen ins Spiel. Cedarfell, der recht schnell den neuen Namen „Seppl“ bekam – schließlich lebte man in der oberbayerischen Provinz in den späten 70-gern, als es noch keine Vornamen von Starwarshelden, amerikanischen Popstars oder Obst gab – fühlte sich in dieser Zeit sehr „high & mighty“. Deutlich mehr als es seine Körpergröße vermuten ließ. Und so hielt ihn auch ein gut umzäuntes Grundstück nicht davon ab, die Dame seines Herzens aufzusuchen. Diese lebte im Nachbardorf und war läufig. Um zu ihr zu gelangen, durchquerte er, wie uns später berichtet wurde, den Inn. Schwimmend. Ende Februar. Und saß patschnass, zitternd, aber glücklich vor der Türe seiner Auserwählten.

Wir dagegen wussten von seiner Tour d’Amour nichts und so klapperten meine Eltern frierend und voller Sorge tagelang die Straßen unseres Dorfes ab, um ihn zu suchen – nicht so leicht, wenn der Hund weiß ist und überall Schnee liegt. Nach einer Woche erreichte uns endlich ein Anruf des örtlichen Tierheims, dass ein Hund abgegeben wurde, und man von Bekannten von Bekannten gehört hätte, dass bei uns ein ebensolcher abgängig war.

Als erste Amtshandlung nach der Rückkehr des Ausreißers verstärkte mein Vater den Zaun mit Hasendraht, um ihn ausbruchssicher zu machen. Der Hund quittierte seine Bemühungen mit lautem Heulen und Fasten, nahm etwas ab und war tagelang beleidigt. Seinen aufgestauten Frust aufgrund der Isolationshaft ließ er kurz darauf am Hund des Nachbarn aus, der es wagte, neugierig seine Schnauze durch den oberen, hasendrahtfreien Teil des Zauns zu stecken. Seine untere Zahnreihe überstand diese waghalsige Aktion leider nicht unbeschadet. Nur gut, dass sein Herrchen Zahnarzt war.

Auch Tarzan, der Gebirgsschweisshund unserer Nachbarn, bekam im Frühling Stubenarrest, da er gerne alleine die Gegend unsicher machte. Doch Tarzans Freiheitsdrang tat dies keinen Abbruch und so sprang er vom Balkon im ersten Stock in den Garten und war ein paar Wochen später stolzer Vater von vier kleinen Rackern – sehr zur Freude der ganzen Familie, die nachdrücklich in die Vermittlung der Kleinen eingebunden wurde.

Unser zweiter Hund Bärli sollte laut Meinung meiner Eltern nicht das trost- und sexlose Leben seines Vorgängers wiederholen müssen. Um nicht ausschließlich die Waden unserer Besucher und die Decke seines Körbchens begatten zu müssen, kam „Elfie“ für ein paar Tage zu Besuch. Elfie war eine entzückende kleine Westie-Dame mit tadellosem Stammbaum und außerdem, laut Elftes Frauchen, läufig. Beste Voraussetzungen also.

Bärli zog von Tag eins bis drei ihres Aufenthalts alle Register seiner männlichen Verführungskunst. Und biss auf Granit. Elfie zeigte sich zwar interessiert, aber in letzter Konsequenz gab sie ihm ordentlich auf die Mütze, sobald er auch nur geringste Anstalten machte, ihr zu nahe zu kommen. An Tag vier hatte sie es sich dann anders überlegt, doch unser Hund war aufgrund der vielen gesammelten Körbe so traumatisiert, dass er völlig regungslos mit gespitzten Ohren vor ihr saß und sich nicht mehr vom Fleck bewegte, ganz gleich, wie sehr sie auch vor seiner Nase mit ihrem Popo wackelte. An Tag fünf wurde Elfie unverrichteter Dinge wieder abgeholt und ab da war das Thema für alle erledigt.

Mein jetziger Rüde kommt aus Spanien und wurde daher serienmäßig mit einer extra Portion Testosteron ausgeliefert. Doch mit jedem neuen vierbeinigen Mann lernt man ja dazu.

Lektion eins: Die Hundeschule (weil, Erziehung ist das A & O, auch bei Hormonen, sagt man). Nach konsequentem Training klappte der Rückruf wie aus dem Lehrbuch. Bis zu dem einen Tag am 1. Mai, als wir – und mit uns zig andere Hundebesitzer – diesen besonders schönen und viel besuchten Rundweg betraten. Unter diesen Hundebesitzern war einer, der es für eine gute Idee hielt, seiner läufigen Hündin auch diesen einen, besonders schönen Ausflug zu gönnen.

Weg war er also, unser Spanier, und zwar schneller als man „Stopp“ rufen konnte. Und mit ihm alle anderen Rüden auf der Strecke. Der restliche Spaziergang gestaltete sich dann weniger schön, ich rief sein Kommando, ich wedelte erfolglos mit seiner Lieblingswiener, ich rannte querfeldein. Ich fragte andere Menschen, ob sie ihn gesehen hätten, doch diese fragten nur zurück, ob ich ihren Hund gesehen hätte. Stunden später hatten wir ihn dann doch eingefangen. Frauchen, Herrchen und Hund waren erschöpft. Was für ein Rückschlag.

Am nächsten Tag stellte Hund das Fressen ein und zog es stattdessen vor, jeden Grashalm einzeln ausgiebigst zu belecken. Bäh! Mit ihm im Schlepptau kam ich ab sofort zu jeder Verabredung zu spät. Trotz Leine. Trotz Wurst. Trotz all der schönen Kommandos, die wir gelernt hatten. Seine Gehirnfunktionen hatten auf Standby geschaltet und andere Regionen das Ruder übernommen.

Ich fragte meine Freundin um Rat. Sie nickte wissend und erzählte mir von Strolch, dem Dackel ihrer Kindheit. „Schätzelein, ich sag es dir. Unser Strolch hat sich im Frühling alles unter den Nagel gerissen und gerammelt. Sofakissen. Beine. Meine schönen Stofftiere – ich habe geweint deswegen! Dem hing den ganzen Tag die Zunge raus und seine Augen waren doppelt so groß wie sonst. Der sah aus wie das Eichhörnchen aus Ice Age. Der war fix und fertig und hatte permanent diesen irren Blick.“ Ja, diesen Blick kannte ich nur zu gut. „Am Ende ging meine Mutter mit ihm zum Tierarzt und der gab ihm dann zur Beruhigung eine Spritze, wie sie sonst Bullen gegeben wird. Danach war Ruhe.“

Ich erwog, meine Tierärztin nach eben dieser Bullenspritze zu fragen. Sie empfahl mir stattdessen Globuli. Ein paar Tage später rief mich unsere Gassigeherin an, dass Spike ab sofort nicht mehr ohne Leine laufen darf. „Er ist abgehauen. Am Horizont war eine Hündin. Ich musste ihn wieder einfangen und das war nicht leicht.“ Ich konnte sie sehr gut verstehen.

Wir gingen also wieder zum Tierarzt. Dieser stellte auf dem Röntgenbild eine sehr, sehr große Prostata fest. Deutlich zu groß für den kleinen Hund. Mich wunderte gar nichts mehr. Die Empfehlung lautete Hormonchip, die neue Wunderwaffe der Pharmazie. „Ich sag es Ihnen aber gleich: Die ersten 4-6 Wochen werden sich die Symptome verschlimmern.“ Verschlimmern? Noch schlimmer als jetzt? Ich erwog eine Auswanderung in reizarme Gebiete wie die Wüste Gobi oder die Antarktis. Aber der Mensch hält ja mehr aus, als man denkt. Und nach diesen sechs Wochen kehrte endlich Ruhe ein. Bis zum nächsten Frühling.


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