Sturm. Vulkane. Katzenklo. Ostern auf Sizilien

Endlich wieder Sizilien. Nachdem, die beste Freundin von allen dort ein Haus erworben hat, müssen wir selbstverständlich hin und schonmal für’s Alter Probewohnen. („In sizilianischen Altenheimen ist das Essen sooo gut! Und es kostet fast nichts! Aber wir nehmen uns einfach eine Köchin, das kommt dann noch billiger!“)

Bei Kaiserwetter fliegen wir in München los und freuen uns schon, bald unsere Käsebeine in die Sizilianische Sonne halten zu können („Viiiiel näher an Afrika, da bräunt man schneller als Paris Hiltons Spraytan zum Trocknen braucht “)

Ah! Endlich gelandet! Der Mann blickt aufs Rollfeld und runzelt die Stirn: „Sicher, dass wir nach Sizilien geflogen sind und nicht nach Finnland?“ Der Blick nach drau0en verrät: Der Kofferauto-Fahrer trägt Mütze und 2 Daunenjacken übereinander und sieht aus wie auf dem Weg zur Antarktisexpedition.

Das Michelinmännchen beginnt, einen Container aus dem Flugzeug zu entladen und nachdem dieser mit einem großen Rumms zwischen Auto und Rollband landet, zwei weitere Kollegen fuchtelnd herumdiskutieren und ihrerseits wie wild mit ihren Autochens hin und her rangieren, ohne dass sich die Lage ansatzweise verbessert, antwortest du: „Sicher.“

Während dein eigener Mann kurze Zeit später in der Ostersonntags-Urknallsuppe weiterer Reisender Richtung Mietwagenverleihdesk schwimmt, wartest du einfach draußen in der Sonne.

Wenn sie denn da wäre. Es ist windig. Und kalt. Fast wie zuhause, wenn es dort nicht gerade doppelt so warm wäre.

Die beste Freundin ruft an und sagt, dass sie sich schon so richtig auf dich freut, es leider gerade einen klitzekleinen, aber umfassenden Stromausfall gäbe, da der Nonno gerade aus Versehen eine Stromleitung angebohrt hätte, während das Oster-Schwein im Ofen sei, was jetzt zu größeren Differenzen von Bausubstanz, Nonno und Ehemann geführt hätten, das aber alles kein Problem sei, schließlich habe man noch Grillkohle und Kerzen im Haus.

Du versicherst ihr, dir keinerlei Gedanken diesbezüglich zu machen, da du schon einmal einen größeren Stromausfall in Sizilien unter weit verschärfteren Umständen überstanden hast, und machst dich auf den Weg zum Mietwagen.

Nach einem etwas längeren Fußmarsch über den Parkplatz der Verleihstationen, der bezüglich seiner Beschilderung locker mit einem mehrseitigen KVR-Formular mithalten kann, hast du auch schon euer Auto gefunden.

„Kreisch!!!! Da isser!!!! Ein Fiat 500! Mein Traumautoooo!“
„Ja, schön gell!“, sagt der Mann beim Aufsperren,
„Wie schade, dass wir keinen Zusatzfahrer gebucht haben…“

Und schon bist du als Beifahrer auf dem Weg einmal quer durch Sizilien. Draußen sieht es aus wie bei der Kerry Gold Werbung: Saftige grüne Wiesen, baumlose Hügel und Kühe. Braune Kühe, weiße Kühe, gefleckte Kühe.

Am Horizont sieht man die Berge und der besonders gut sehende Mann noch etwas anderes: „Das ist doch Schnee da! Ich flieg doch nicht nach Sizilien, damit ich hier Schnee hab!“
„Nein, nein!“, wiegelt die Frau ab. „Das ist doch kein Schnee. Ein hübscher Streifen Marmor! Wie in Carrara! Oder die Abdeckung eines Spargelfeldes
„Bist du sicher, dass wir wirklich in Sizilien sind?“

Nach 2,5 Stunden und sehr, sehr vielen Brücken sind wir und unsere überlebenden Bandscheiben endlich da. Auch der Strom ist zurück.

Beim Abendessen erfahren wir, dass sich Nachbar Umberto gestern einen Dieselgenerator gekauft hat – zur Sicherheit. Wegen des heute Nacht erwarteten Sciroccos, der nie dagewesene Ausmaße annehmen soll.

„Das ist krass! Er wohnt schon 20 Jahre hier und bisher hat er das noch nicht für nötig befunden. Aber klar, jetzt bist ja DU hier, ehehehe …“ 

Mitten in der Nacht wachst du auf. Es ist verdammt laut. Deine Wetterapp zeigt 27 Grad um 3 Uhr nachts, aber Fenster aufmachen und lüften ist gerade nicht und würde auch nichts bringen außer noch mehr gelbem Sand in noch mehr Ritzen, in die er nicht hingehört. Du denkst an die Worte deiner Freundin („Keine Angst, das Haus ist 500 Jahre alt!“) und hoffst, dass diese Aussage noch bis morgen Bestand hat. („Das Haus war 500 Jahre alt. Naja. Wirklich ganz blödes Timing!“)

Am nächsten Morgen steht noch alles, es ist sogar ein klitzekleines bisschen weniger windig (die Zypresse biegt sich nur noch im 30 Grand Winkel) und wir fahren in die Stadt. Wir besichtigen den Stadtstrand und weiter geht’s etwas derangiert in Richtung Kathedrale. Sehr schön! Auch diese ist sehr alt und du hoffst, sie bleibt es weiterhin noch. Da wir mittlerweile aussehen wie die 4 Hauptdarsteller bei Cast Away featuring Chewbacca, beschließen wir, wieder nach Hause zu fahren, natürlich nicht ohne vorher noch ein paar frische Sardinen zu besorgen.

Der Fischhändler ist sehr nett und freut sich, dass es Menschen gibt, die an einem Tag wie diesem aus dem Haus gehen und Interesse an seiner Ware haben. („Ehi, wenn du‘s nicht mitnimmst, muss ich es, und darauf hab‘ ich keinen Bock!“)

Das Auto riecht langsam, aber sicher, wie ein Fischkutter, der sich sanft schaukelnd den Berg hinaufschraubt. Urlaubsgefühle machen sich breit. Diese Authentizität! Oben angekommen stellt man fest, dass die Styroporbox undicht ist und sich das Fischwasser von 3kg Sardinen auf Eis in den Kofferraum des Carsharing Palermo Autos unserer Freunde ergossen hat.

Das bedeutet, der restliche Tag ist zum Putzen da. Team 1 übernimmt das Auto. Team 2 die Fische. Team 3 (Nachbarkatze) überwacht Fortschritte von Team 1 & 2. Und spekuliert auf die übrig gebliebenen Reste der Sardinen.

„Der Müllannahmeplatz hat heute zu. Wir könnten die Fischköpfe im Garten vergraben.“
„Genau. Und damit die gesamte Katzenpopulation Cefalús als Untermieter.“
„OK. Wir vergraben sie beim Nachbarn.“
„Spinnst du? Der gießt die Blumen, wenn wir nicht da sind.“
„OK. Ich koche sie und dann sehen wir weiter.“

Die gekochten Restfische („Um Himmels willen, was stinkt denn hier so??“) werden tags drauf fachgerecht entsorgt, doch dies bleibt nicht unbemerkt.

„Was riecht denn hier so schlimm?“ fragte die beste Freundin, während sie in der Hängematte schaukelt. „Boah, das riecht ja wirklich übel!“

Zwischen den Kieselsteinchen entdeckt man einen großen, stinkenden Katzenhaufen. So auch vor dem Grillplatz. Und im Blumenbeet.

Abhilfe muss her. Google verrät, dass neben der „Verpiss dich Pflanze“, die hier komplett unbekannt ist, Kaffeesatz ein tolles Mittel gegen unerwünschte Katzenprotestscheißerei sei.

„Wir müssten allerdings den gesamten Garten damit ausstreuen. Sie macht ja auch überall hin“
„Soviel Kaffee können wir nicht trinken. Wir haben sonst eine Koffeinvergiftung.“
„Wieso, wir sind zu Fünft.“
„Paula ist erst 3!“
„OK. Wir könnten abends zur Bar am Bahnhof fahren und uns den gesamten Kaffeesatz des Tages holen.“
„Mit der Schubkarre?“
„Genau. Ich frage Umberto. Der hat eine elektrische!“

Umberto ist nicht da und so verstreuen wir erstmal das, was da ist und fahren zu Mittagessen in die Berge.

Du bist heute Fahrer, da es ja nur gaaanz kurz ist und eh keiner außer dir dorthin will. Heißt es.

Doch die Berge hier haben nichts mit den lustigen kleinen Zwergenhügeln, die man in der Toskana kennt, zu tun. Das hier ist Hochgebirge und nichts für Anfänger. Und so schlängelst du dich nürburgringartig eine S-Kurve nach der anderen nach oben und fragst dich, ob man gleichzeitig lenken und rausspeiben kann, ohne den Beifahrer zu gefährden und einen Abhang herunterzudonnern. Dabei weichst du Schlaglöchern, streunenden Hunden und anderen komplett wahnsinnigen Fahrern aus.

Oben angekommen, hat das Ristorante leider zu. Eigentlich hat es offen, aber da gestern soviel los war, hat es heute zu. Basta. Dafür hat der „Markt“ geöffnet. Hier gibt es eine Auswahl, nach der man anderswo vergeblich sucht: Schlüpfer in allen Größen und Farben neben Netzstrümpfen, Töpfen, Stockfisch und Bonbons, Schuhcreme von 1960, die Nero d‘inferno („Höllenschwarz“) heißt und neben einer Packung mit einem ominösen Inhalt aus Seehundfett (Hilfe, Peta!) liegt. Doch die größte Aufmerksamkeit erregen wir selbst.

Gleich einer Erstbegegnung mit indigenen Stämmen im Amazonas werden wir von allen Anwesenden angestarrt. Und vom Marktstandbetreiber der gesalzenen Fische nach einer Weile mutig gefragt: „Whatte yuur näme?“

Die Antwort „Anja“ verstört augenblicklich.
„Obacht! Das sind Russen!! Sono russi!!!!“ flüstert der Chef den anderen zu.
Entsetzte Gesichter.

Wir setzen ein sehr russisches Gesicht auf, schlendern weiter und besichtigen, wie es sich für waschechte Russen gehört, das zentrale Denkmal des Ortes: Ein Kriegerdenkmal, mit 4 rostigen Torpedos direkt vor der Apotheke. Dann haben wir alles Wichtige gesehen. Und fahren Kurve um Kurve zurück, um uns noch ein paar Kilo von Robertos unwiderstehlichen polpette di sardi einzuverleiben.

Am nächsten Morgen ist der nächste Katzenhaufen da.
„OK, wir müssen härtere Geschütze auffahren.“
„Du meinst, eine Selbstschussanlage?“
„Nein. Zu gefährlich. Danach knallen sich die Gäste selbst ab und du kriegst eine schlechte Bewertung auf AirBNB. Ich meine Tierkommunikation!“

Staunende Gesichter am Tisch. („Das ist allerdings wirklich KRASS!“)
Und so kommunizierst du eindrücklich mit der Katze und machst ihr klar, dass ihr Stuhlgang hier im Garten unerwünscht sei.

„Hat sie dich verstanden? Auf Deutsch? Kann sie Deutsch?“
Skeptisches Gesicht von Roberto.
„Wenn sie‘s morgen wieder macht, müssen wir’s übersetzen.“

Am nächsten Morgen liegt die Mutter aller Haufen genau mittig vor der Terrasse.
Wir schippen ihn fluchend in Nachbars Garten und fahren zum Ätna.

Bevor wir uns top vorbereitet mit langen Unterhosen bei 25 Grad auf den Weg zum Vulkan machen („die meisten Menschen sterben hier am Vulkan aufgrund falscher Ausrüstung!“), verlangt es den Mann nach etwas Essbarem in einem netten kleinen Städtchen auf dem Weg. TripAdvisor spuckt ein gut bewertetes aus und der Kartendienst den schnellsten Weg dorthin. Das der schnellste nicht immer der beste ist, merken wir recht schnell. Rechts und links brennen kleine Müllhaufen aus Plastikflaschen, in der Mitte reiht sich ein Schlagloch ans nächste. Highway to Achsenbruch.

Wir parken an der Piazza vor der Kirche, in der gerade eine Hochzeit stattfindet. Die davor geparkte Limousine ist größer als Angela Merkels Staatskarosse mit sehr dunklen Scheiben, was auch auf die Sonnenbrillen aller Anwesenden zutrifft.

Außer der Hochzeit ist hier nix los. Alles hat zu. Vielleicht auch deswegen, weil alles aussieht, als ob es gleich zusammenbricht. Unser Restaurant hat zu. Das zweite auch. Das dritte sowas von zu, dass sogar „zu verkaufen“ auf der Scheibe steht. Die wenigen Menschen auf der Straße sehen aus wie einem Tarantino Streifen entsprungen.

„Kennst du den Horrorfilm, wo sich das Pärchen verfährt und dann in diese komische Stadt kommt…“ fragt der Mann.
„Nein. Zum Glück nicht“ sagt die Frau mit Mörderlaune.

Das offensichtlich Gefährlichste hier ist eine hungrige und zwecks zu warmer Vulkanunterbekleidung schlecht gelaunte Touristin, die schimpfend der Empfehlung des dreizähnigen Spirituosenverkäufers folgt und den einzigen geöffneten Imbiss betritt.

Dort sitzen bereits Männer am Tisch, von denen einer in einem formschönen Jogginganzug von allen anderen geküsst wird. Ömmm… ok. Was soll man von einem Ort halten, der das Wort „Pate“ schon in seinem Namen trägt? An der Wand hängt Jesus, Padre Pio und ein getunter Fiat 500 aus den 50gern.

Arancini per i tedeschi

Egal. Her mit Arancino und Bier. Wir fallen hier auf. Zu groß. Zu blond. Zu falscher Laden. Der Koch fragt beim Bezahlen, wo wir herkommen. „Russland.“ Danach machen wir, dass wir weg kommen, und retten uns auf die Serpentinenstraße Richtung Ätna.

Endlich in Sicherheit schrauben wir uns Kurve für Kurve über eine beeindruckende Lavalandschaft Richtung Rifugio di Sapienza.

„Ah, guck, wie er nett raucht!“ sagst du.

„Das ist ne Wolke.“

„Ne, isses nicht. Grade war auch ein Erdbeben! Ist das nicht großartig?“

Der Mann steigt wieder in den sicheren Wagen und fragt sich gerade, was zum Teufel ihn dazu veranlasst hat, mit so einer Reisebegleitung ausgerechnet auf einen Vulkan zu fahren.

Doch diesmal geht alles glatt. Keine Ausbrüche, pyroklastischen Wolken, Lavaströme über den kleinen Zeh.

Aber eine gigantische Aussicht. Und die Entscheidung, ganz bald wiederzukommen.


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