Es gibt Leute, die gehen in den Zoo. Oder ins Museum. Ich gehe an den Strand. Nirgendwo sonst kann man so bequem und unauffällig ausgiebige Sozialstudien hinter seiner großen Sonnenbrille exerzieren wie hier.
Hier gibt es Männer mit Busen, Frauen mit Glatzen und Menschen, die dich an Vögel erinnern, während sie hoch konzentriert durchs Wasser staksen.
Pärchen schlendern Hand in Hand den Strand entlang und sehen durch das lange Zusammenleben entweder wie der andere aus (gleicher Hut, gleicher Blick, gleicher Schritt) oder verkörpern den Spruch „Gegensätze ziehen sich aus.“
In Reihe eins, prima fila am Wasser, dem VIP-Raum sozusagen, thront die Wiedergeburt Luciano Pavarottis und pfeift sich in einem Tempo 5 Austern hinter die Binde, dass Lichtgeschwindigkeit neu definiert werden muss. Neben ihm liegt eine sehr schlanke, sehr blonde und sehr junge Frau und tippt gelangweilt auf ihrem Handy herum.
Rechts davon ein junges Pärchen – Mann mit Baseballcap und Hipsterbart, das Mädel daneben raucht. Was wiederum den eigenen Mann auf die Palme bringt: „Die raucht eine nach der anderen. Die inhaliert die voll! Und dabei ist die schwanger!“ Mein Blick fällt auf ihren Bauch. Hmmm hmmm. Während der Mann weiter schimpft („Ich geh da jetzt hin, ich sag da jetzt was! Das arme Kind!“) fällt dir dein letztes Mal ein, als du was gesagt hast. In einer ähnlichen Situation. In deiner damaligen Agentur, zu deiner Etatdirektorin. Die Antwort der Dame lautete: ICH. BIN. NICHT. SCHWANGER!!!!begleitet von Blicken, die man jetzt nicht genauer beschreiben möchte.
Man einigt sich also, nichts zu sagen. Immerhin ist man ja schließlich auch im Land der Malloreddus, des Fritto Misto und der Brioche mit Eis und Sahne zum Frühstück.
Schräg hinter dir liegt ein Typ, der sich mit grimmiger Mine das Buch „Persuasion: The Art of Influencing People“ reinzieht und dabei in der Nase bohrt. Du kannst fast gar nicht weggucken und fragst dich schon, bei wem er seine neu erworbenen Techniken anwenden will. Seine Frau zumindest geht lieber alle 5 Minuten ins Wasser als neben ihm zu sitzen.
Nichts wird allerdings jemals den Mann vor mir am Strand auf Elba toppen, der sich Tag ein Tag aus den großen Bildband der Odontologie zu Gemüte geführt hat. Zahnruinen in Großaufnahme vor Postkartenkulisse – und selbst kannste wie bei einem schrecklichen Autounfall auch nicht wegsehen.
Dazwischen laufen die Strandverkäufer, die dir echt „Original ich schwör! Kettchen“ von der nigerianischen Verwandtschaft andrehen wollen oder Prada-Gucci-Sonnenbrillen, Handtücher und aufblasbare Pinguine. Du deutest auf deine eigene mindestens Prade-Gucci-Sonnenbrille mitten auf deiner Nase und dein Handtuch unter deinem Po und schüttelst freundlich, aber bestimmt den Kopf. No Grazie. Auch kein Pinguin.
Der nächste Strandverkäufer ist gar keiner, nur ein italienischer Papa, der von seiner Familie genötigt wurde, den gesamten Hausstand mit ans Meer zu schleppen. Und mit ihm die restliche Großfamilie.
Vorne im türkisen Wasser selfisticken sich zwei junge Russinen so duckfacig für Instagram in Pose, dass dem Bademeister fast die Pfeife aus dem Mund fällt. Roter als das Salvataggio-Boot neben ihm ist nur die Haut des Mannes, der auf seiner Liege eingeschlafen ist. Aua!
Links vor dir packen die Franzosen ihre Tupperdose mit frittierten Fischchen aus, während die Lettino-Nachbarin samt Dogge aus Deutschland einen hysterischen Anfall bekommt, weil der Quinoasalat in der Strandbar aus ist. Und es zuviele „Drecksscheissn-Wespen“ hier gibt und überhaupt das alles hier nicht das Gelbe vom Ei sei.
Im nächsten Moment machst du selbst Bekanntschaft mit eben jener Drecksscheissn-Wespe, die dich unverschämterweise in deine Wade sticht. Du schreist nach dem Mann und dem Bite-Away-Gerät in der Strandtasche, das er irrtümlich für einen Vibrator gehalten hat und schon peinlich berührt fragte, ob man sich ganz sicher sei, dieses Dings da mit ins Handgepäck zu nehmen.
Trotz sofortiger Brutzelaktion schwillt deine Wade Paul-Breitner-mäßig an, während die Deutsche nebenan immer noch rumschreit, dass es ja wohl ein Unding sei, sie mit Sand zu bewerfen. Darauf schreit der 2-jährige Werfer ebenfalls wie am Spieß und die Stimmung ist kurz hinüber. Auch bei mir. Wenn nicht bald Ruhe ist, brutzelt ich ihr die Stimmbänder raus.
Mittlerweile hat der Mann 2 Ichnusas von der Bar besorgt, eins zum kühlen, eins zum Trinken, während Pavarottis Strandliege nach hinten wegkippt. Es macht ein ordentliches Plumpsgeräusch und die blonde Begleitung guckt doch tatsächlich kurz von ihrem Handy auf.
Am Horizont kreuzt eine fette Yacht und parkt in die Nachbarbucht ein, nicht ohne ihre Schiffsnase noch ein bisschen in Sichtweite herausragen zu lassen.
Der Mann spekuliert, dass das ganz sicher Leonardo di Caprio sei, und er drauf und dran ist, sich für 10 € ein SUP auszuleihen, um mal eben geschmeidig rüberzusuppen auf ein Gläschen Veuve Cliquot Rosé. Der Wellengang macht ihm einen Strich durch die Rechnung und so holt er einfach noch zwei Ichnusas und nimmt mit mir vorlieb. Nur zum Wadenkühlen, versteht sich.
In der Strandtasche liegen solang die 3 Bücher, die du dabei hast, weil du ja eeendlich mal ungestört lesen willst – unangetastet. Kein Wunder. Das Leben vor dir schreibt irgendwie die besseren Geschichten.
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